Berufsunfähigkeitsversicherung für Selbstständige und Freiberufler
Viele Selbstständige und Freiberufler vermeiden den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung, weil sie aufgrund der – für diese Personengruppe üblichen – Umorganisationsklausel Leistungsverweigerungen oder langwierige Gerichtsprozesse befürchten. Und in der Vergangenheit musste sich wirklich so manches Gericht mit der Zumutbarkeit einer Umorganisation beschäftigen. Doch sowohl diese Rechtsprechung als auch der Wettbewerb unter den BU-Versicherern haben bei vielen Tarifen zu transparenteren und verbraucherfreundlichen Regelungen geführt.
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Warum sollten Selbstständige auf die Umorganisationsklausel achten?
Grundsätzlich prüfen alle Versicherer bei BU-Leistungsanträgen von Selbstständigen, ob durch eine zumutbare Umorganisation der Arbeitsabläufe innerhalb des Betriebes, der Praxis oder der Kanzlei der bisherige Beruf weiter ausgeübt werden könnte. Hierzu müssen die Versicherungsunternehmen zwar ein paar rechtliche Grundsätze beachten. In den Versicherungsbedingungen kann dies so oder so ähnlich formuliert sein:
Umorganisation bei Selbstständigen
Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn die versicherte Person in zumutbarer Weise weiterhin als Selbstständiger nach wirtschaftlich angemessener Umorganisation innerhalb seines Betriebs tätig sein könnte. Eine Umorganisation ist beispielsweise regelmäßig dann zumutbar, wenn
- der versicherten Person die Stellung als Betriebsinhaber erhalten bleibt,
- erheblicher Kapitaleinsatz nicht erforderlich ist und
- keine erheblichen Einkommenseinbußen damit verbunden sind.
Kann der Grad der Berufsunfähigkeit durch eine solch zumutbare Umorganisation reduziert werden, so dass keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr vorliegt, werden keine BU-Leistungen fällig.
Problematisch an dieser Formulierung ist, dass sie keinerlei konkrete Angaben enthält. Ab welcher Höhe ist ein Kapitaleinsatz erheblich? Bis zu welcher Höhe muss sich der Unternehmer eine Einkommenseinbuße gefallen lassen? Ohne eine konkrete Definition könnten zur Klärung dieser Fragen unter Umständen langwierige Gerichtsprozesse erforderlich werden.
Zumindest hat das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 26.09.2012 (Az. I-20 U 23/12) festgestellt, dass gerade bei Kleinbetrieben eine Umorganisation in Form der Einstellung einer qualifizierten Ersatzkraft zu nennenswerten wirtschaftlichen Nachteilen führt und daher wirtschaftlich unzumutbar ist. Aber das musste eben erst ein Gericht entscheiden. Besser ist es, gleich beim Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung auf klare Formulierungen bei der Umorganisationsklausel zu achten.
Gilt die Umorganisationsklausel auch für Freiberufler?
Die PremiumCircle Deutschland GmbH behauptet in ihren Vergleichen, es gäbe BU-Versicherer, bei denen die Umorganisationsklausel nicht für Freiberufler gilt (Stand 01.03.2021). Das ist jedoch eine gewagte These, denn:
- Umgangssprachlich gehören sowohl Gewerbetreibende als auch freiberuflich Tätige zu den Selbstständigen.
- Auch nach dem deutschen Steuerrecht haben Freiberufler Einkünfte aus selbstständiger Arbeit.
- Und fragt man bei den genannten Versicherern nach, so bestätigen diese, dass Freiberufler zweifelsohne zu den Selbstständigen zählen.
Nun kann es durchaus sein, dass „PremiumCircle“ die Formulierungen in den aktuellen Versicherungsbedingungen nicht transparent genug empfindet und eine bestimmte Formulierung erzwingen will. Es ist aber der falsche Weg, hierzu Interessenten und Vermittler mit unbewiesenen Aussagen in die Irre zu leiten.
Fest steht: Nach dem derzeitigen Willen der BU-Versicherer gilt die Umorganisationsklausel auch für Freiberufler. Und wer im Falle seiner Berufsunfähigkeit böse Überraschungen vermeiden will, sollte prüfen, welcher BU-Versicherer unter welchen Voraussetzungen auf die Prüfung der Umorganisation verzichtet.
Berufsunfähigkeitsversicherungen ohne Prüfung der Umorganisation
Bei manchen aktuellen BU-Tarifen verzichtet der Versicherer unter bestimmten Voraussetzungen auf die bei Selbstständigen übliche Prüfung der Umorganisation des Arbeitsplatzes. Hierzu lassen sich im Wesentlichen folgende Trends ablesen:
Verzicht auf Umorganisation bei mehr als 20 % Einkommenseinbuße
Immer mehr Versicherer erklären in ihren Versicherungsbedingungen eindeutig, dass eine Umorganisation nicht mehr zumutbar ist, wenn sich dadurch eine Einkommenseinbuße von 20 % oder mehr ergibt. Ausgangsbasis hierzu ist häufig der durchschnittliche steuerliche Jahresgewinn der letzten drei Jahre. Für viele „Einzelkämpfer“ ist diese Regelung durchaus akzeptabel. Denn die gefürchtete Forderung zum Einstellen einer qualifizierten Fachkraft zur Übernahme der nicht mehr ausübbaren Tätigkeiten dürfte diese zulässige Einkommensminderung deutlich überschreiten.
Verzicht auf Umorganisation bei weniger als 5 Mitarbeitern
Einige wenige BU-Versicherer gehen einen anderen Weg. Sie verzichten bei Betrieben mit weniger als 5 Mitarbeitern grundsätzlich auf eine Prüfung der Umorganisation. Da der Selbstständige als Betriebsinhaber nicht mitzählt, dürfen also noch maximal 4 Mitarbeiter beschäftigt sein. Maßgebend ist dabei nicht der Zeitpunkt des Abschlusses der Berufsunfähigkeitsversicherung, sondern der Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit.
Für Selbstständige und Freiberufler mit maximal 4 angestellten Mitarbeitern ist dies eine sehr gute Variante. Bei mehr als 4 Mitarbeitern greift sie jedoch ins Leere.
Verzicht auf Umorganisation bei Akademikern mit mind. 90 % kaufmännischer oder organisatorischer Tätigkeit
Einzelne Versicherungsgesellschaften verzichten bei Selbstständigen mit erfolgreich abgeschlossener akademischer Ausbildung auf die Umorganisation, sofern diese in ihrer täglichen Arbeitszeit mindestens zu 90 Prozent kaufmännische oder organisatorische Tätigkeiten ausüben. Allerdings stellt sich hierbei die Frage, was alles zu kaufmännischen und organisatorischen Tätigkeiten zählt.
Update vom 01.04.2024:
Die Condor Lebensversicherungs-AG verzichtet als erster BU-Versicherer in allen neu abgeschlossenen Tarifvarianten (Basic-, Comfort- und Premiumtarif) für alle Selbstständigen und Freiberufler vollständig auf die Prüfung einer möglichen Umorganisation des Betriebes – unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter, der erreichten Qualifikation oder des Anteils kaufmännisch/organisatorischer Tätigkeit.
Das ist sinnvoll und wird hoffentlich auch von anderen BU-Versicherern übernommen. Denn viele Antragsteller können bei Abschluss ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung noch nicht abschätzen, ob und mit wieviel Mitarbeitern sie irgendwann mal selbstständig tätig sein werden.
Übersicht zur Umorganisationsklausel für Selbstständige und Freiberufler
Wer den Ratings oder inflationär vergebenen Bestnoten von Analysehäusern und verschiedenen Medien vertraut, kann meist kaum Unterschiede in den Versicherungsbedingungen der verschiedenen Tarife erkennen. Grund hierfür ist die häufig oberflächliche Analyse. Manchmal bleiben einzelne Klauseln völlig unberücksichtigt. Das Analysehaus „Morgen & Morgen“ prüft beispielsweise nur, ob auf die Umorganisationsklausel hingewiesen wird – aber nicht den Inhalt der Klausel.
In der nachfolgenden Tabelle zeigen wir am Beispiel dieser Umorganisationsklausel, dass es sehr wohl Unterschiede gibt. Aber bedenken Sie: Eine verbraucherfreundliche Umorganisationsklausel ist nur ein Kriterium von vielen und garantiert keinesfalls schon eine gute Berufsunfähigkeitsversicherung für Selbstständige. Lassen Sie sich besser beraten!
Versicherer | Verzicht auf Prüfung der Umorganisation bei | ||
---|---|---|---|
Tarif (Stand) |
mehr als 20% Eink.-Einbuße |
weniger als 5 Mitarbeitern |
Akademikern mit 90% kaufm./organisat. Tätigkeit |
Allianz SBU-Police E356 (12/2023) |
|||
Alte Leipziger BV10 (01/2024) |
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AXA ALVSBV (12/2023) |
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Baloise BP (01/2023) |
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Canada Life Berufsunfähigkeitsschutz (02/2020) |
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Condor C80 (04/2024) |
grundsätzlicher Verzicht auf Prüfung einer Umorganisation |
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Continentale PremiumBU (08/2023) |
|||
Debeka BV-T (01/2022) |
|||
Dialog SBU-professional (02/2024) |
|||
die Bayerische BU PROTECT (07/2024) |
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ERGO BU Komfort (12/2022) |
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Getsurance Job Premium (07/2022) |
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Gothaer Premium (01/2024) |
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Hannoversche Premium Plus (09/2024) |
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HanseMerkur Profi Care (01/2022) |
|||
HDI EGO Top (01/2024) |
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InterRisk XXL (12/2023) |
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LV 1871 Golden-BU (11/2023) |
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Münchener Verein Tarif 56 (01/2022) |
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Nürnberger Komfort-Schutz (07/2022) |
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Stuttgarter V91 (01/2024) |
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Swiss Life SBU (10/2023) |
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UniVersa PremiumSBU (01/2022) |
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Volkswohl Bund SBU (06/2022) |
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Württembergische BURV (01/2022) |
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Zurich SBU (01/2024) |
|||
1 Der Verzicht auf Prüfung der Umorganisation gilt sogar, wenn der Betrieb
bei Eintritt der Berufsunfähigkeit weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigte. |
AU-Klausel bei Berufsunfähigkeitsversicherungen
Wer Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung beantragt, muss seine Berufsunfähigkeit nachweisen. Manchmal verzögert sich die Leistungsanerkennung, weil sich Gutachter noch über den Grad der Berufsunfähigkeit streiten. So kann es bei Personen mit privater Krankentagegeldversicherung passieren, dass der KTG-Versicherer seine Leistungen einstellt, weil nach seiner Ansicht Berufsunfähigkeit vorliegt. Der BU-Versicherer leistet aber noch nicht, weil der in den Versicherungsbedingungen vereinbarte BU-Grad noch nicht feststeht.
Um dieses Problem verbraucherfreundlich zu lösen, haben in den letzten Jahren immer mehr BU-Versicherer eine sogenannte Arbeitsunfähigkeitsklausel (kurz: AU-Klausel) eingeführt. Entsprechend dieser Klausel erhält der Versicherte schon dann eine monatliche Leistung in Höhe der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente, wenn er sechs Monate ununterbrochen arbeitsunfähig war. Die Dauer dieser zeitlich befristeten AU-Leistung beträgt je nach Tarif 18 bis 36 Monate.
Allerdings gibt es auch feine, aber bedeutsame Unterschiede bei den geforderten Nachweisen zur ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit (Krankschreibung). So fordern manche BU-Versicherer ärztliche Bescheinigungen, „wie sie in § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) vorgesehen sind“.
Das Entgeltfortzahlungsgesetz bezieht sich aber nur auf Arbeitnehmer. Im Leistungsfall könnten diese Versicherer also durchaus argumentieren, dass die AU-Klausel nur für Arbeitnehmer gilt – nicht aber für Selbstständige. Und obwohl Fachleute schon seit mehreren Jahren auf diese Lücke hinweisen, hat mancher Versicherer immer noch nicht für Klarheit gesorgt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Deutlich besser hat dies beispielsweise die „Alte Leipziger“ bei ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung geklärt. Sie schreibt in ihren Versicherungsbedingungen
Die ärztlichen Bescheinigungen für die Arbeitsunfähigkeit müssen in ihrer Form den Vorschriften des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz entsprechen. Den genauen Wortlaut des Gesetzes finden Sie auf folgender Seite im Internet: www.alte-leipziger.de/gesetzestexte.
Wenn der Versicherte kein Arbeitnehmer ist, genügt ein entsprechendes ärztliches Attest.
Dies gilt zum Beispiel auch für Beamte, Selbständige, Studenten, Schüler und Hausfrauen /-männer.
Vorsicht bei abgeschlossener Krankentagegeldversicherung
Viele Selbstständige haben eine private KTG-Versicherung abgeschlossen. Dann finden Sie in den dazugehörigen Versicherungsbedingungen einen Absatz zu „Obliegenheiten“. Dort ist unter anderem festgelegt, dass der Neuabschluss einer weiteren oder die Erhöhung einer anderweitig bestehenden Versicherung mit Anspruch auf Krankentagegeld nur mit Einwilligung des Versicherers vorgenommen werden darf.
Außerdem begrenzt der private KTG-Versicherer unter „Umfang der Leistungspflicht“ die Höhe des Krankentagegelds (zusammen mit sonstigen Krankentage- und Krankengeldern) auf das auf den Kalendertag umgerechnete Nettoeinkommen.
Das Problem:
Derzeit streiten Fachleute noch darüber, ob es sich bei AU-Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung um „sonstige Krankentage- oder Krankengelder“ im obigen Sinne handelt. Eine diesbezüglich abschließende Rechtsprechung gibt es derzeit noch nicht.
Unser Tipp:
Wir empfehlen Interessenten mit einer privaten KTG-Versicherung, vor dem Abschluss einer BU-Versicherung mit AU-Klausel den KTG-Versicherer über den beabsichtigten Abschluss zu informieren. Gleichzeitig sollten sie klären, ob der KTG-Versicherer Leistungen aus der AU-Klausel als „sonstiges Krankentage- oder Krankengeld“ betrachtet und bei der Begrenzung des Krankentagegelds anrechnet.
Für gesetzlich oder freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenkasse besteht kein diesbezüglicher Handlungsbedarf – sofern sie keine zusätzliche private KTG-Versicherung abgeschlossen haben.
Fazit:
Eine verbraucherfreundliche Umorganisationsklausel ist nur ein wichtiges Kriterium für Selbstständige und solche, die es werden wollen. Es gibt noch viele weitere Klauseln zur Berufsunfähigkeit. Auch wenn wir Ihnen auf dieser Website ein paar Tipps geben, sollten Sie sich vor Abschluss einer solch wichtigen Versicherung von einem Fachmann beraten lassen – gern auch von uns. Einen ersten Überblick über die Leistungen und Beiträge von Berufsunfähigkeitsversicherungen gibt Ihnen auch unser Onlinevergleich.
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